REPORTAGE

Ein Hort für Spezialitäten und traditionelles Handwerk
Durch die geschützte und etwas isolierte Lage wurden im Aostatal altes Handwerk und kulinarische Spezialitäten geschützt und bewahrt.
Nicht ganz Italien, aber auch nicht mehr Frankreich und doch vereint es von beiden Ländern das Beste. Genuss und Handwerk haben im Aostatal einen besonderen Stellenwert und werden gleich zu Jahresbeginn beim traditionellen Sant’Orso Jahrmarkt besonders gefeiert und zelebriert. Die Fiera di Sant’Orso ist ein großartiges Volksfest, eine Hymne an die Kreativität und an die Emsigkeit der Gebirgsbewohner. Jedes Jahr präsentieren tausend Aussteller, darunter Künstler und Handwerker aus dem Aostatal, mit Stolz und berechtigter Zufriedenheit die Früchte ihrer Arbeit, die ihnen entweder Hobby oder Beruf ist, wobei jedoch die handwerkliche Prägung stets bewahrt wird. Sämtliche traditionellen Handwerke sind präsent: Skulpturen, Holzschnitzereien, Specksteinverarbeitung, Schmiedeisen und Lederartikel, Drap (eine auf traditionellen Webstühlen ausgeführte Webkunst), Spitzen, Korbflechtereien, Haushaltartikel, Holzleitern, Fässer und so weiter.
GESCHÜTZTER KÄSE
Das handwerkliche Geschick der Menschen aus dem Aostatal zeigt sich nicht nur beim Kunsthandwerk, sondern auch bei den kulinarischen Spezialitäten des Tals. Unter den vielen verschiedenen Käsespezialitäten, die dort produziert werden, ist der Fontina wohl der Bekannteste. Er hat eine feste, dünne und bräunliche Rinde und besteht aus einem weichen und schmelzenden Kern mit vereinzelten kleinen Löchern. Wenn die Kühe im Winter durch Heu ernährt werden, hat dieser Käse eine strohgelbe Farbe, im Sommer eine intensiv gelbliche Färbung. Seine Herstellung wird durch ein strenges Reglement beherrscht, das ihn wie folgt definiert: «Ein fetthaltiger Käse mit weichem Laib, der aus der Vollmilch von Kühen des Aostatals (rot, schwarz und kastanienbraun gescheckt) hergestellt wird, die in einem Melkdurchgang gewonnen wird.» Im Jahre 1996 erhielt er von der Europäischen Union die geschützte Ursprungsbezeichnung Denominazione di Origine Protetta (DOP), die festlegt, dass er ausschließlich im Aostatal, unter bestimmten geografischen, klimatischen, ackerbaulichen und kulturellen Bedingungen hergestellt werden darf, was möglichen Fälschungen vorbeugt.
KRÄUTER, LUFT UND VIEL GESCHICK
Was der Fontina unter den Käsesorten des Tals ist, ist der Jambon de Bosses (DOP) unter den Fleischspezialitäten. Er ist ein roher Schinken, der mit Bergkräutern gewürzt und auf einer Höhe von 1600 Metern in der gleichnamigen Ortschaft Saint-Rhémy-en-Bosses produziert wird, einem Ort, der sich in dem Tal des Grossen Sankt Bernhards, an der Schweizer Grenze erstreckt. Die ersten Dokumente, die «Contes de l’Hospice du Grand-Saint-Bernard», die die Produktion dieses Schinkens bezeugen, gehen auf das Jahr 1397 zurück, während weitere historische Informationen auf die darauf folgenden Jahrhunderte datierbar sind und die Anerkennung dieses kostbaren Bergschinkens bestätigen. Eine Besonderheit ist der einzigartige Geschmack des Schinkens, der erst nach mindestens einem Jahr ausgereift und von zahlreichen Faktoren abhängig ist: die Geschicklichkeit der «Trocknereien» (vom Vater auf den Sohn übertragen), das trockene Klima, die besondere Lagerung und das Zusammenfliessen von verschiedenen Luftströmen, die von den Anhöhen Malatra, Citrin, Serena und dem Grossen Sankt Bernhard hinabsteigen, schaffen das ideale Umfeld für die Verarbeitung und die Ausreifung des Schinkens; der Wacholder, der Thymian und die im Tal wachsenden Kräuter verleihen ihm einen delikaten und aromatischen Duft, während das Heu, das ihn bei seiner Reifung begleitet, ihn mit einem unvergleichlichen Aroma umhüllt.
Seupa à la Vapelenentse
(«Suppe nach Art des Valpelline-Tals»)
Zutaten (für 4 Personen):
Anderthalb Liter Fleischbrühe
500 Gramm in Scheiben geschnittenes Brot
1 Wirsing
Gemahlener Zimt
400 Gramm Fontinakäse
150 Gramm Butter
Zubereitung: In eine feuerfeste Form schichtet man abwechselnd Brot und Käse, wobei die letzte Schicht aus Käse besteht. Man kocht den Wirsing in der Fleischbrühe. Dann gibt man die Brüh auf das Brot, wartet, bis alles schön eingeweicht ist, und gibt die heisse, zerlassene Butter über die letzte Schicht. Nun bestreut man das Ganze mit dem gemahlenen Zimt, schiebt die Form in dern vorgeheizten Ofen (200 - 220°) und lässt die Suppe 40 Minuten garen, bis der Fontinakäse goldgelb wird und sich eine leichte Kruste zu bilden beginnt. Die Suppe heiss servieren. Der passende Wein dazu ist ein Arnad Montjovet mit einer Serviertemperatur von 18 Grad.


Produktion von Jambon de Bosses (DOP) und Fontina-Käse (DOP).
KLEINSTE REGION ITALIENS
Dass Kultur und Kulinarik im Aostatal so hochgeschätzt und erhalten werden, liegt vielleicht auch an seiner Lage und Topografie. Das Aostatal in Norditalien wurde von Gletschern geformt und ist von Bergen umgeben. Ein Drittel der Gesamtfläche liegt auf über 2600 Metern Höhe. Eine Bergregion wie aus dem Bilderbuch. Es grenzt nördlich an die Schweiz (Kanton Wallis), westlich an Frankreich (Region Auvergne Rhône-Alpes), südlich und östlich an die Region Piemont. Mit einer Fläche von rund 3270 Quadtrakilomentern ist es die kleinste Region Italiens. Mit dem Mont Blanc, dem Monte Rosa, dem Matterhorn und Gran Paradiso wird das Aostatal von den höchsten Gipfeln der Alpen dominiert. Es präsentiert sich als eine Mischung der Kulturen – geprägt von italienischem Flair mit einem feinen französischen Touch. Mit einer ausgezeichneten Gastronomie, der reizvollen, zuweilen pittoresken, alpinen Landschaft und Architektur, einer gelebten Gegenwart und weit zurückreichender Geschichte und mit dem breiten kulturellen und sportlichen Angebot erfreut die Region Besucherinnen und Besucher aus aller Welt.
THERESE KRÄHENBÜHL-MÜLLER
+ INFORMATIONEN
Die Fiera di Sant’Orso findet das nächste Mal am 30. Und 31. Januar 2020 statt.